Schreibworkshop II: Dialoge über das Zusammenleben in Deutschland

von Hiwarat e.V. (ehem. Friedenskreis Syrien e.V.) und The Poetry Project e.V.

„Es ist vorbei, die Spuren noch im Herzen”
Aus: Spuren, Yasser Niksada

Nach erfolgreichem Abschluss unseres ersten Schreibworkshops „Frieden zwischen Hier und Dort“, erreichten uns eine Vielzahl an Anfragen, das Format zu wiederholen.

Dies taten wir von Oktober bis Dezember 2019 in Kooperation mit The Poetry Project e.V. Anders als im vorherigen Schreibworkshop stand hier die Teilnahme beiden Geschlechtern offen.


Mit den Leitfragen Wo komme ich her und wo möchte ich hin? Was macht mich aus und wie begegne ich anderen? haben wir uns an drei Wochenenden mit jungen Menschen zwischen 17 und 27 Jahren auf eine lyrische Entdeckungsreise begeben und über Vorstellungen des Zusammenlebens in Deutschland und der Formen von Identität nachgedacht. Die Workshops fanden auf Arabisch, Deutsch und Englisch statt. An den Texten wurde sowohl während der Workshops, als auch in den Zwischenzeiten geschrieben. Die Textübersetzungen wurden gemeinsam erarbeitet. 

Begleitet werden die Workshops abermals von der syrischen Autorin Kefah Ali Deeb. Wir bedanken uns bei ihr und The Poetry Project e.V. für die Zusammenarbeit.

Schreibworkshop II: Dialoge über das Zusammenleben in Deutschland

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Hier findet ihr einen Auszug aus den Gedichten auf Deutsch. 

Der starre Stuhl
M-Samih Zir
Idlib, Syrien
 
 
Ein Begleiter für alle, 
Bei Trauerfeiern und bei Hochzeiten,
In Krankenhäusern und in Bars,
Im Haus der Großeltern und in den Kasernen an der Front, 
In den Schulen und bei Inhaftierungen, 
In Restaurants und im Verkehr. 
 
Wir sitzen auf einem Stuhl,
um uns auszuruhen. 
Dann bleiben die schönsten Erinnerungen
auf seinen Armlehnen eingraviert
 
Zusammen (Ich und der Stuhl),
Haben wir viele Lieder in der Stimme meiner Mutter gehört.
Im Bad, 
Das warme Wasser,
Gemischt mit der Lorbeer Seife, hergestellt von meinem Großvater,
Hat meine Augen verbrannt. 
 
Heute werde ich nicht mehr,
Mit den liebenden Händen meiner Mutter gewaschen,
Und ich sitze nicht mehr auf dem Stuhl, 
den ich als bequem beschrieben hatte. 
Heute bedeutet mir der Stuhl nichts mehr,
Weil die Monster der Regierung ihn zu einem schrecklichen Symbol gemacht haben. 
 
Wegen ihm, sind Kriege ausgebrochen, 
Und Städte wurden zerstört. 
Wegen ihm, ist meine Stadt die ich liebe,
Zu einer Erinnerung geworden.
 
Angst wurde in ihm eingraviert, Blut befleckte seine Teile,
Seine Begleitung haben Folterspuren an mir hinterlassen.
Wenn es in dir noch etwas Gutes gibt,
So soll es mich nicht heilen.
 
 
M-Samih Zir (18)
Stammt aus Idlib in Syrien. Er macht eine Ausbildung als Sozialassistent und möchte später als Sozialarbeiter mit Jugendlichen arbeiten. Es gefällt ihm, mit jungen Menschen in Kontakt zu sein, ihnen mit ihren Problemen zu helfen, und sie zum lachen zu bringen. In seiner Freizeit schreibt er Gedichte und betreibt viel Sport.

Der inhaftierte Stuhl
Ali Alzaeem
Idlib, Syrien
  
 
Der inhaftierte Stuhl,
In der verzweifelten Stadt.
Er ruft mich: kehre nicht zurück!
Der Rückweg reicht nicht mehr,
Für einen anderen Stuhl und Körper.
 
Ich gestehe, dass ich zurückkehre,
Mein Geständnis ist wie ein harter Winter.
Es verändert mich von einem vernachlässigten Spiegel in der Ecke,
zu einem Regen, der die Angst von unseren Forderungen wäscht.
 
Meine neue Geburt… meine neue Geburt, 
beschreibt einen neuen Anfang, 
die Adressen unserer vergessenen Straßen.
Die Erde erschafft eine neue Geburt von Olivenbäumen. 
 
Oh meine Mutter,
Ich gestehe, dass ich zu dir zurückkehre. 
Und mein Geständnis ist die Sehnsucht,
einen Stuhl zu deinem Tisch zu sein. 
 
 
Ali Alzaeem (20),
stammt aus einem Dorf in Idlib. Er hatte eine schöne Kindheit als Schäfer, Schüler, Fußballspieler. Im Sommer 2015 kam er nach Deutschland, spielt gern Theater und schreibt Gedichte. Er hat großes Interesse an Politik und Wirtschaft, die ihn sowohl ärgern als auch süchtig machen. Er geht auf die Elinor-Ostrom-Schule.